Im Studium der Theaterwissenschaften an der LMU München gab es ein paar Jahre
lang den Studienschwerpunkt „Spiel- und Theaterpädagogik“, für den sich jedes
Semester 12 Studenten der Fächer Theaterwissenschaft und Pädagogik bewerben
konnten. Ich hatte das ungeheure Glück unter den letzten Zwölf zu sein, die das
studieren durften - danach wurde er abgeschafft.
Neben Spieltheorie, Stimmbildung, Körpertraining und zahlreichen
wissenschaftlichen Begleitkursen zum Thema gab es jeden Freitag nachmittag den
praktischen Kurs der Improvisation.
Impro
Wir lernten, wie man den Raum nutzt und eine imaginierte Tasse nicht etwa einfach
„fallen lässt“, sondern sie, wie einen realen Gegenstand, irgendwo hinstellt. Das
heisst, wir lernten hinzusehen, -zuspüren und genau zu sein.
Wir lernten die Prinzipien der Improvisation kennen - hör hin, sieh hin, sei bereit
und lass Deinen Partner gut aussehen
Und wir lernten das Thema Status kennen.
In jedem Film, der richtig gut ist, wissen die einzelnen Schauspieler - auch die
kleinen Nebenrollen - wer sie sind, wie sie zu wem stehen und wie sie sich in Bezug
auf denjenigen fühlen. Sie lernen also ihren „Inneren Status“ kennen, um ihn nach
außen darstellen zu können. Wenn sie den inneren Status ausreichend empfinden
können, bekommt die Darstellung Tiefe.
Mehrere Wochen hatte unsere Studiengruppe Status zum Thema. In allen
möglichen Facetten - der Sprache, dem körperlichen Verhalten, der Raumnutzung,
der Interaktion mit Anderen.
Ich war Feuer und Flamme und konnte die Welt nur noch durch „Status“-Augen
sehen. Alles war ein kleiner Machtkampf. Ich erprobte mein Statusverhalten wo auch
immer ich konnte. Manchmal war es der ein bisschen dominantere Auftritt, der mich
den letzten Platz in der U-Bahn ergattern liess (hoher äußerer Status), manchmal
das Lächeln (niedrigerer äußerer Status). Je nach Situation und auch Laune (innerer
Status) gelangen die Spiele und am Ende waren es ja auch „nur“ Spiele. Oder
Spielangebote meinerseits.
Lebensverändernd war der Anruf meines Ex-Freundes. Wir hatten über die Jahre
immer wieder Kontakt und es gab gute Gründe für das „Ex“. Und ebenso viele gute
Gründe für das „Freund“. Ich hatte das Ende unserer Beziehung nie richtig
verstanden - irgend etwas hatte sich zwischen uns verändert und ich konnte nicht
einordnen, was es gewesen war.
Der Anruf öffnete mir die Augen - oder ich nahm ihn mit einer neuen Brille
entgegen. Zumindest wurde mir bewusst, dass mein Gegenüber in der Sprache des
äußeren Hochstatus mit mir sprach, der mir einen ihm untergeordneten Status gab.
Ich bin mir sehr sicher, dass das unbewusst war. Und bisher hatte ich darauf auch
immer unbewusst reagiert - mit Gegenwehr, die die Situationen in der Regel
verschlimmerten und zu einem Machtkampf machten.
Dieses Mal reagierte ich bewusst. Und wandte mein neues Wissen, mein neues
Handlungs-Repertoire an. Und plötzlich konnte ich die Situation steuern. Sie
zumindest besser steuern, als ich sie je hatte steuern können. Ich spielte plötzlich
Schach. Und jeder Zug zog einen nach sich, den ich so eingeschätzt hatte. Damit
war ich innerlich vorbereitet und konnte souverän reagieren. Wir hatten eine neu
gestaltete Dynamik.
Das Verstehen der Mechanismen und das Erkennen der Status-Anzeichen
ermöglichten mir die Veränderung einer bis dahin willkürlich verlaufenden Dynamik.
Was ich bis dahin als Spiel und Theater behandelt hatte, wurde Teil meines aktiven
Repertoires.
Anmerkung:
Der Ex-Freund ist mittlerweile zum Ur-Freund geworden… denn meine gefühlte
Überlegenheit auf dem Status-Parkett war nicht lang anhaltend und hat bis heute
immer wieder neue interessante Themen auf Lager gehabt. Dieser Mensch ist ein
immerwährendes Lernfeld für mich und ich bin dafür zähneknirschend dankbar. Die
Dankbarkeit überwiegt.